Shalom Josef,
mein Vater befindet sich gerade wieder mal beim Lesen des Alten Testaments und es tauchen wieder mal die alten immer wiederkehrenden Fragen auf, die bei uns
beiden an dem Glauben rütteln. Wie würdest du aus deiner Sicht und nach deiner bisherigen Erkenntnis erklären, dass Gott seinem Volk befiehlt andere Völker auszuplündern und zu ermorden, nachdem
er das Gebot gegeben hat, nicht zu töten? Sagen wir, in der Sintflut gab es keinen Gerechten und darum wurden nur 8 Menschen gerettet. Aber warum vollzieht Gott im weiteren Verlauf die Ausrottung
der Sünde durch Morden von seinem auserwählten Volk?
Vielen Dank im Voraus und Gottes Segen
Eugen
Schalom lieber Eugen,
danke für dein Mail. Ja, es gibt schon einige schwierige Passagen im AT, über die man sich Gedanken machen muss. Gerade in Verbindung mit der Eroberung Kanaans nach dem Auszug aus Ägypten
muss man sich einige Sachen bewusst machen.
- Was ist der Unterschied zwischen Mord und Tötung? Mord ist das unrechtmäßige Nehmen von Leben. Gott ist das Leben selbst und gibt allem Leben. Und grundsätzlich muss man sagen, dass deshalb
an erster Stelle nur Gott das Recht hat, Leben zu nehmen. Gott als Geber und Erhalter des Lebens hat das Recht, jedes Leben zu beenden, wann er will und wie er will. Tatsächlich hat Gott
beschlossen JEDES Leben zu nehmen irgendwann, denn alle Menschen müssen irgendwann sterben. Gott kann also per Definition keinen Mord begehen.
An zweiter Stelle hat dann derjenige das Recht Leben zu nehmen, den Gott dazu berechtigt. Das Recht haben z.B. alle Regierungen. In Römer 13 steht, dass Gott den Obrigkeiten das Schwert
gegeben hat, das meint die richterliche Gewalt bis hin zur Todesstrafe. Wenn in den bestimmten Bundesstaaten der USA ein Mensch hingerichtet wird, dann ist das kein Mord. Genauso wenig kann
man im Kriegsfall von Mord sprechen.
- Es wird oft der Vorwurf erhoben, dass Gott Genozid befohlen hätte. Das ist aber so nicht richtig. Es ging nicht darum, die in Kanaan ansässigen Völker auszulöschen. Der eigentliche Befehl
war, sie als Strafe Gottes für ihre schrecklichen Sünden (Verbrennung von Kindern ihren Götzen, Inzest und Verkehr mit Tieren usw.) aus dem Land zu treiben (2Mo 23,26-32). Der Rest, der im Land
blieb, der sollte tatsächlich ausgelöscht werden. Das ist einmal schon ein wesentlicher Unterschied.
Ein erstes Beispiel ist Jericho. Aber auch hierbei sehen wir, dass es dort Menschen gab, die zum Glauben kamen und gerettet wurden. Das waren sündige und unmoralische Menschen wie die
Prostituierte Rahab. Es ist gut möglich, dass das kein Einzelfall war, sondern nur beispielhaft berichtet wird. Das bring uns zum nächsten Punkt, warum Gott beschlossen hatte, das Gericht
durch die Israeliten zu vollziehen.
- Gott hätte die Völker durch eine Pest oder Naturkatastrophe schlagen können, beschloss aber, Israel als Gerichtswerkzeug zu gebrauchen. Einen Grund der schrittweisen Austreibung finden wir
z.B. in der erwähnten Stelle in 2Mo 2Mo 23,26-32. Ein wichtigerer Grund hat mit der Gedankenwelt der damaligen Menschen zu tun. Man muss verstehen, welche Rolle die vielen Götzenvorstellungen
spielten. Menschen opferten den Fruchtbarkeitsgöttern, damit die Ernten reich ausfielen, die Frauen viele gesunde und starke Nachkommen hervorbrächten oder Kriegsgöttern, damit man in den
Schlachten Siege errang und viel Beute machte usw. usf. War eine Nation groß und stark, dann führte man das auf deren Götzen zurück. Das ist der Grund, warum Jahwe gerade ein kleines, schwaches
und unterdrücktes Sklavenvolk erwählte und die größte und stärkste Nation in sensationeller Weise mit zehn Plagen schlug und Israel herausführte. Das alles hatte in Wahrheit mit Gottes Kampf
gegen die Götzen Ägyptens zu tun. Nachdem Jahwe Israel aus dem Land Ägypten herausgeführt hatte, benutzte er gerade sie als Gerichtswerkzeug, um die Sünden der Völker in Kanaan
zu richten. Man kann also einmal sagen, dass Jahwe an Ägypten gezeigt hat, dass er der wahre Gott ist, Herr aller Herren und Gott aller Götter, und durch die Austreibung aus dem Land Kanaan, dass
die heidnischen Praktiken ihm ein Greul sind. Einmal zeigte er wer ist und dann wie er ist.
- Bei all dem darf man auch die Geduld Gottes nicht übersehen. In 1Mo 15,13-16 sagt er quasi, dass er den Völkern mehrere Jahrhunderte Zeit gibt, um ihre Wege zu ändern. Generation um
Generation hat aber gezeigt, dass die Kinder nur in den Fußstapfen ihrer Eltern wandelten: „13 Da sprach Er zu Abram: Du sollst mit Gewissheit wissen, dass dein Same ein Fremdling sein wird in
einem Land, das ihm nicht gehört; und man wird sie dort zu Knechten machen und demütigen 400 Jahre lang. 14 Aber auch das Volk, dem sie dienen müssen, will ich richten; und danach sollen sie mit
großer Habe ausziehen. 15 Und du sollst in Frieden zu deinen Vätern eingehen und in gutem Alter begraben werden. 16 Sie aber sollen in der vierten Generation wieder hierherkommen; denn das Maß
der Sünden der Amoriter ist noch nicht voll.“ Gott hat ein Maß festgesetzt und wie bei Sodom und Gomorra, als das Geschrei über beide Städte zu groß wurde, hat er es vernichtet: "Und der HERR
sprach: Das Geschrei über Sodom und Gomorra ist groß, und ihre Sünde ist sehr schwer.“ (1Mo 18,20)
Man kann sehen, dass Gott derselbe ist und seinem Wesen treu: „Der HERR ist langsam zum Zorn und groß an Gnade; er vergibt Schuld und Übertretungen, obgleich er keineswegs ungestraft
lässt, sondern die Schuld der Väter heimsucht an den Kindern, bis in das dritte und vierte Glied.“ 4Mo 14,18)
Ich hoffe, dass euch diese kurze Antwort weiterhilft. Falls ihr umfassendere nähere Antworten wünscht, empfehle ich euch „Der missverstandene Gott“ von David T. Lamb. Nachtrag: Als
englischsprachige Literatur ist zu empfehlen "Is God a Moral Monster?" (Paul Copan) und "Did God Really Command Genocide?" (P. Copan & M. Flannagan).
Herzliche Grüße und Gottes Segen
Josef Drazil
(Evangelist & Apologet)