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Ist Wählen Sünde? - Eine logische Analyse

Am 23. Februar 2025 stehen in Deutschland vorgezogene Neuwahlen zum Bundestag an. Diese wurden notwendig, nachdem die Regierungskoalition im November 2024 zerbrach und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Bundestag auflöste.

Inmitten dieser politischen Entwicklungen stellt sich für viele Christen die Frage nach der Teilnahme an demokratischen Wahlen. Einige vertreten die Ansicht, dass politisches Engagement ein Ausdruck christlicher Verantwortung ist, während andere argumentieren, dass die Beteiligung an Wahlen einem "Mitherrschen" gleichkommt, das Gläubigen vorbehalten ist.

In diesem Artikel werde ich eine spezifische Argumentation untersuchen, die besagt, dass Christen nicht wählen sollten, da sie dadurch gegen Gottes Einsetzung der Obrigkeit rebellieren würden. Ich bringe dieses Argument mithilfe von ChatGPT in eine strenge syllogistische Form und prüfe es auf seine Validität, Schlüssigkeit und innere Kohärenz.

"Da das demokratische System bedeutet, dass ich als Wähler mitherrschen kann, ist es etwas für das ich keine Erlaubnis habe. Mitherrschen (mit Christus) ist für uns etwas zukünftiges, gegenwärtig sind wir der Kehricht der Welt.

Römer 13 unterscheidet uns von der Obrigkeit und einige Verse vorher:

[Röm 12,16] Seid gleich gesinnt gegeneinander; sinnt nicht auf hohe Dinge, sondern haltet euch zu den Niedrigen; seid nicht klug bei euch selbst.

Wenn ich meine, wählen zu gehen, müsste ich dann nicht der Wahlempfehlung des gegenwärtigen Regenten nachgehen und SPD wählen? (Ich weiß, wir denken schon viel zu sehr nach diesem System in dem wir aufgewachsen sind, dass dieser Vorstoß absurd erscheint, weil wir den Kanzler Scholz von dem Kanzlerkandidaten Scholz unterscheiden)

Wenn ich davon ausgehe, dass Gott die Obrigkeit einsetzt, bin ich auch mit seiner Wahl vor 3 ½ Jahren zufrieden? Der Herr weiß schon warum er solche einsetzt: Er übt Gericht gegen ein Volk.

Entscheiden zu wollen, wann dieses Gericht beendet sein sollte – klug bei mir selbst sein – ist Sünde."

 

Schalom, lieber Bruder. Danke für deine Ausführungen. Ich möchte gerne eine Analyse deines Argumentes vornehmen und hoffe, dass das zum Segen dienen darf.

Hier ist dein Argument in einer strengen, syllogistischen Form:

PRÄMISSEN:

  • (P1) Die demokratische Wahl bedeutet eine Mitregierung des Wählers.

  • (P2) Die Schrift unterscheidet zwischen den Gläubigen und der Obrigkeit (Römer 13).

  • (P3) Die Schrift fordert die Gläubigen auf, sich nicht auf hohe Dinge zu sinnen, sondern zu den Niedrigen zu halten (Römer 12,16).

  • (P4) Gott setzt die Obrigkeit ein (Römer 13), um über das Volk Gericht zu halten.

  • (P5) Sich über die von Gott eingesetzte Obrigkeit hinwegzusetzen oder sie zu beeinflussen, ist gleichbedeutend mit einer Rebellion gegen Gottes Gericht.

  • (P6) Die Entscheidung, wann Gottes Gericht beendet sein soll (durch Wahlbeteiligung), ist Ausdruck eigener Klugheit und damit Sünde.

SCHLUSSFOLGERUNG:

  • (C1) Die Teilnahme an demokratischen Wahlen bedeutet, sich an der Regierung und damit an der Entscheidung über Gottes Gericht zu beteiligen.

  • (C2) Da dies gegen Gottes Anordnung verstößt und Ausdruck eigener Klugheit ist, ist es Sünde.

ENDGÜLTIGE SCHLUSSFOLGERUNG:
➡ Die Teilnahme an demokratischen Wahlen ist für Gläubige Sünde.

 

IST DAS ARGUMENT VALIDE?

Eine Argumentation ist valide, wenn die Schlussfolgerung zwingend aus den Prämissen folgt. Die gegebene Argumentation folgt einem syllogistischen Aufbau und basiert auf folgenden Implikationen:

  • P1 & P2: Wenn die Wahl eine Mitregierung bedeutet und Christen nicht zur Obrigkeit gehören, dann sollte ein Christ nicht wählen.

  • P3: Wenn Christen sich nicht auf hohe Dinge sinnen sollen, dann sollten sie sich nicht in politische Machtstrukturen einmischen.

  • P4 & P5: Wenn Gott die Obrigkeit einsetzt und sie für sein Gericht nutzt, dann wäre jede Beeinflussung der Obrigkeit eine Störung von Gottes Plan.

  • P6: Wenn eine solche Störung Sünde ist, dann ist auch die Wahlbeteiligung Sünde.

Da jede dieser Implikationen klar formuliert ist, folgt die Schlussfolgerung (C2) valide aus den Prämissen. Das bedeutet: Wenn die Prämissen wahr sind, muss auch die Schlussfolgerung wahr sein.

 

IST DEIN ARGUMENT SCHLÜSSIG?

Eine Argumentation ist schlüssig, wenn sie von der Struktur nicht nur valide ist, sondern auch die Prämissen wahr oder zumindest plausibel sind.

  • P1 (Wahl = Mitregierung?)
    Dies ist strittig. In einer Demokratie ist eine Wahl eine indirekte Mitentscheidung, aber keine tatsächliche Mitregierung. Man könnte argumentieren, dass die Wahl eher ein delegierender Akt als eine direkte Machtausübung ist.

  • P2 (Gläubige ≠ Obrigkeit?)
    Römer 13 unterscheidet tatsächlich zwischen Gläubigen und der Obrigkeit. Allerdings bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass ein Christ nicht politisch aktiv sein darf. In der Geschichte gab es viele Christen in Regierungsämtern.

  • P3 (Sich nicht auf hohe Dinge sinnen?)
    Dieser Vers (Römer 12,16) spricht gegen Stolz und Arroganz, nicht explizit gegen politische Beteiligung. Eine mögliche Fehlinterpretation.

  • P4 & P5 (Gott setzt Obrigkeit zum Gericht ein?)
    Biblisch gesehen setzt Gott tatsächlich Obrigkeiten ein (Römer 13,1). Doch ob jede Regierung ausschließlich als "Gericht" über das Volk dient, ist theologisch umstritten. Manche sehen Obrigkeiten auch als Ordnungsstruktur für das Gemeinwohl.

  • P6 (Beeinflussung der Regierung = Rebellion gegen Gott?)
    Dies ist eine Interpretation, keine zwingende biblische Lehre. Manche biblischen Figuren (z. B. Daniel, Josef) nahmen aktiv Einfluss auf die Regierung.

 

Fazit:

  • Valide? ✅ Ja, die Schlussfolgerung folgt aus den Prämissen.

  • Schlüssig? ❌ Nein, da einige Prämissen hinterfragt werden können und nicht zwingend wahr sind.

Die Argumentation ist formal logisch korrekt (valide), aber inhaltlich nicht zwingend (nicht schlüssig), da sie von fragwürdigen Prämissen ausgeht.

 

IST DEIN ARGUMENT KOHÄRENT?

In deiner Argumentation gibt es einen potenziellen Selbstwiderspruch. Er ergibt sich aus der folgenden Argumentationslinie:

  • Einerseits wird behauptet, dass Gott die Obrigkeit einsetzt (P4).

  • Andererseits wird impliziert, dass menschliches Wählen die Obrigkeit beeinflussen kann (P6).

Das Problem:

  • Wenn die Obrigkeit tatsächlich ausschließlich von Gott eingesetzt wird, dann kann keine Wahl diese beeinflussen.

  • Wenn eine Wahl aber doch Einfluss auf die Obrigkeit hat, dann bedeutet das, dass Gott nicht allein über die Obrigkeit entscheidet, sondern der Mensch eine Rolle spielt.

Das führt zu zwei unvereinbaren Positionen:

1. Entweder ist Gott allein für die Obrigkeit verantwortlich, dann ist Wählen bedeutungslos (und keine Sünde, weil es Gottes Plan nicht stören kann).

2. Oder Wählen hat Einfluss, dann ist die Obrigkeit nicht nur von Gott bestimmt – was die ursprüngliche Annahme aus P4 widerlegt.

 

WEITERE WIDERSPRÜCHE UND SCHWACHSTELLEN

Widerspruch zur Empfehlung, die SPD zu wählen:

  • Zunächst sagst du, dass Christen nicht wählen sollen, weil das eine Sünde wäre (C2). Dann stellst du aber die ironische Frage, ob man dann nicht der Wahlempfehlung der Regierung folgen und die SPD wählen müsste.

  • Problem: Wenn Wählen Sünde ist, kann es keine „richtige“ Wahl geben.

Überdehnung des Begriffs „Mitherrschen“:

  • Die Argumentation setzt stillschweigend voraus, dass Wählen = Herrschen ist (P1).

  • Problem: Das ist nicht unbedingt der Fall. Eine Wahl ist nur eine indirekte Beteiligung am politischen Prozess, nicht tatsächliche Regierungsmacht.

Missbrauch von Römer 12,16:

  • Der Vers „seid nicht klug bei euch selbst“ bezieht sich auf persönliche Demut, nicht auf politische Abstinenz. Es wird hier in einen unpassenden Kontext gebracht.

FAZIT

  • Formal logisch ist das Argument also gültig (valide), aber nicht schlüssig.

  • Es enthält einen Selbstwiderspruch in Bezug auf die göttliche Einsetzung der Obrigkeit und die menschliche Einflussnahme durch Wahlen.

  • Mehrere biblische Argumente werden überdehnt oder missinterpretiert.

Die Argumentation ist nicht schlüssig, weil sie auf widersprüchlichen oder fragwürdigen Prämissen beruht.

Schlüssigkeit bedeutet, dass die Prämissen wahr oder zumindest plausibel sind. Hier gibt es jedoch einen Selbstwiderspruch zwischen der Behauptung, dass Gott die Obrigkeit allein einsetzt, und der Annahme, dass menschliches Wählen diese beeinflussen kann. Das macht die Argumentation inkohärent.

Formal ist sie valide – die Schlussfolgerung folgt logisch aus den Prämissen. Doch da mindestens eine Prämisse problematisch oder widersprüchlich ist, ist das Argument nicht schlüssig.

Überzeugungskraft ist eine subjektive Größe und hängt hinsichtlich dieser Argumentation davon ab, wie bereit jemand ist, die fragwürdigen Prämissen zu akzeptieren. Für jemanden, der sie als gegeben ansieht, mag es überzeugend erscheinen, aber logisch stichhaltig ist es nicht. Meinem Urteil nach ist dein Argument Ausdruck deiner persönlichen Präferenz. Böse Zungen würden sogar behaupten, da es kein stichhaltiges Argument ist, dass man klug bei sich selbst ist. 😉 😚

 

GESONDERTE BETRACHTUNG EINES WEITEREN ARGUMENTES

Hier ist noch eine weitere Betrachtung des folgendes Argumentes: "Mitherrschen (mit Christus) ist für uns etwas zukünftiges, gegenwärtig sind wir der Kehricht der Welt."

Das Argument lautet in vereinfachter Form:

  • Prämisse (P1): Mitherrschen mit Christus ist etwas Zukünftiges.

  • Prämisse (P2): Gegenwärtig sind Christen „der Kehricht der Welt“ (1. Korinther 4,13).

  • Implizite Prämisse (P3): Wer jetzt „der Kehricht der Welt“ ist, kann nicht gleichzeitig regieren oder an der Herrschaft teilnehmen.

  • Schlussfolgerung (C1): Christen sollen jetzt nicht mitregieren oder politische Macht ausüben.

Auch hier folgt die Schlussfolgerung (C1) aus den Prämissen, wenn man P3 akzeptiert und ist somit von der Struktur her valide.

Die Schlüssigkeit hängt aber wieder von der Wahrheit der Prämissen ab. Schauen wir sie uns genauer an:

P1: Mitherrschen mit Christus ist etwas Zukünftiges

  • Diese Annahme hat eine theologische Grundlage (Offb 20,6; 2. Tim 2,12).

  • Problem: Es bedeutet nicht zwangsläufig, dass Christen jetzt keinerlei politische Verantwortung übernehmen dürfen.

P2: Christen sind gegenwärtig der Kehricht der Welt

  • Dieser Ausdruck stammt aus 1. Korinther 4,13, wo Paulus beschreibt, wie Apostel (nicht alle Christen!) von der Welt behandelt werden.

  • Problem: Diese auf die Apostel beschränkte BESCHREIBUNG ist keine generelle Regel für alle Zeiten und Situationen und schon gar kein Gebot für alle Christen.

P3: Wer „Kehricht der Welt“ ist, kann nicht gleichzeitig regieren

  • Hier liegt der eigentliche logische Fehler.

  • Ein Christ kann gleichzeitig verfolgt und politisch aktiv sein (Beispiele: Daniel in Babylon, Josef in Ägypten, christliche Politiker heute).

  • Die Prämisse setzt voraus, dass soziale Niedrigkeit und politische Beteiligung sich zwangsläufig ausschließen, was nicht der Fall ist.

 

Schlussfolgerung

  • Formal valide? ✅ Ja, wenn P3 gilt.

  • Schlüssig? ❌ Nein, weil P3 eine fragwürdige Annahme ist.

  • Hauptproblem: Die Annahme, dass soziale oder moralische Demut politische Beteiligung ausschließt, ist nicht haltbar.

Das Argument ist logisch fehlerhaft und damit nicht schlüssig.

SCHLUSSWORT 

Die Analyse des Arguments zeigt deutlich, dass es zwar formal valide ist – das heißt, die Schlussfolgerung folgt logisch aus den Prämissen – jedoch nicht schlüssig. Dies liegt daran, dass einige Prämissen entweder unhaltbar oder widersprüchlich sind. Besonders problematisch ist der innere Widerspruch zwischen der Behauptung, dass Gott allein die Obrigkeit einsetzt, und der gleichzeitigen Annahme, dass menschliches Wählen diese beeinflussen könnte.

Darüber hinaus ist das Argument nicht kohärent mit anderen biblischen Beispielen, in denen Gläubige aktiv an Regierung und Politik beteiligt waren, wie Daniel, Josef oder neutestamentliche Figuren. Es bleibt daher festzuhalten, dass die zugrunde liegenden Annahmen mehr von persönlichen Überzeugungen als von zwingender theologischer Logik geprägt sind. 

Jedoch muss betont werden, dass es sich hierbei um eine Gewissensfrage handelt, über die nach Römer 14 nicht gestritten werden sollte. Jeder Christ sollte nach seiner persönlichen Einsicht handeln, ohne dass man Mitgläubige verurteilt. Manche Christen sehen es als ihre Pflicht an, sich in einer gefallenen Welt, in der es keine perfekten politischen Lösungen gibt, für das geringere Übel zu entscheiden – etwa um durch ihre Wahl Abtreibungen einzuschränken, die sie aus ihrem biblischen Weltbild heraus als Massenmord betrachten.

Dabei gilt jedoch eine biblische Grundregel: „Alles aber, was nicht aus Glauben geschieht, ist Sünde.“ (Römer 14,23). Wenn jemand von der Überzeugung ist, dass Wählen Sünde ist, obwohl es faktisch keine ist, dann wird es für ihn dennoch zur Sünde. Die persönliche Überzeugung spielt also eine entscheidende Rolle im ethischen Handeln eines Christen.

Meiner Meinung nach besteht hier die Gefahr, von beiden Seiten vom Pferd zu fallen: Einerseits, indem man politische Beteiligung komplett verwirft und als Sünde erklärt, andererseits, indem man zu viel oder alles vom politischen Engagement erwartet. Weder das eine noch das andere entspricht einer ausgewogenen, biblisch fundierten Perspektive. Vielmehr sollte sich jeder vor Gott prüfen, in welcher Weise er sich – oder eben nicht – politisch betätigt, ohne dabei das Gewissen anderer zu belasten.